Themendossier "Flexibilisierung"
04.08.2022
Die Berufsbildung muss flexibler werden! Diese Forderung taucht regelmäßig auf, wenn diskutiert wird, ob berufliche Qualifizierungswege innovativ und attraktiv genug sind. Gelingt es, neue technologische Entwicklungen zügig in Ausbildungsordnungen aufzunehmen? Bietet eine Berufsausbildung genügend Differenzierungsmöglichkeiten für Lernende mit unterschiedlichen Voraussetzungen und eröffnet sie jungen Menschen attraktive Karriereoptionen? Dass diese Fragen stets neu gestellt werden, obwohl sie bereits vielfach beantwortet sind, verweist auf ein Spannungsverhältnis von Stabilität und Flexibilität, in dem sich die Berufsbildung befindet, und das es immer wieder neu auszutarieren gilt. Die Auswahl an BWP-Beiträgen geht bis auf das Jahr 1980 zurück und zeigt, welche Antworten gefunden wurden.
Beiträge
Berufsbildung in Unordnung?
Strukturierung von Ausbildungsberufen
Henrik Schwarz, Markus Bretschneider
2/2011
Ausbildungsberufe sind Konstrukte an der Nahtstelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem. Abgeleitet aus Erwerbstätigkeiten erfüllen sie im Rahmen des Berufsprinzips ökonomische und sozialintegrative Funktionen. Die vorhandenen Konstruktionsprinzipien für Ausbildungsberufe enthalten einen großen Interpretationsspielraum. Innerhalb dieses Spielraums hat die beschleunigte Entwicklung flexibler und gestaltungsoffener Ausbildungsberufe seit Mitte der 1990er-Jahre neue Strukturelemente zur Differenzierung von Ausbildungsberufen hervorgebracht, deren Anwendung und Kombinationsmöglichkeiten nicht immer konsistent erscheinen. Der Beitrag beleuchtet vorhandene Strukturierungsformen von Ausbildungsberufen im Kontext ihrer historischen Entwicklung und plädiert für eine kritische und systematisierende (Neu-) Betrachtung dieser Strukturierungsformen und ihrer Begründungen.
Neue Strukturen in der dualen Ausbildung
Die Vorschläge der BDA bieten zusätzliche Gestaltungschancen
Barbara Dorn, Tanja Nackmayr
4/2007
Die duale Ausbildung kann und soll auch mittel- und langfristig die zentrale Quelle für Fachkräftenachwuchs bleiben. Dies wird nach Einschätzung der Arbeitgeber gelingen, wenn ihr Potential an Flexibilität, Vielfalt, Durchlässigkeit und Transparenz konsequent weiterentwickelt wird – allerdings nicht nach einem Einheitsmodell. Ziel der Vorschläge der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) für „Neue Strukturen in der dualen Ausbildung“ ist die Gewinnung von Bewegungsspielraum und zusätzlichen Gestaltungschancen – für interessierte Branchen und geeignete Berufe. Neben drei Strukturelementen (Bausteine, Berufsgruppen, Strukturmodell 2 plus x) hat der Bildungsausschuss der BDA Vorschläge für neue Formen der Leistungsfeststellung vorgelegt. Hieraus ergeben sich vielfältige Chancen für Betriebe und Jugendliche.
„Aufgabenbezogene Anlernung“ oder berufsbezogene Ausbildung?
Zur Kritik der aktuellen Modularisierungsdebatte
Michael Ehrke, Hermann Nehls
1/2007
Die Debatte um die Reform der beruflichen Bildung wird gegenwärtig bereichert um Vorschläge, die Berufsausbildung in Module zu gliedern. Diese Vorschläge sind zu sehen vor dem Hintergrund von Versuchen, das Niveau der Berufsausbildung aus lohn- und arbeitspolitischen Interessen zu senken. Der folgende Artikel diskutiert die Zusammenhänge – insbesondere bezogen auf ein Gutachten von Euler/Severing – und beschreibt mögliche Konsequenzen für die Berufsausbildung in Deutschland. Die vorhandenen Berufe sind flexibel und innovativ – viel mehr, als es die Modultheoretiker sehen wollen. Eine Modularisierung würde das Qualifikationsniveau senken mit weitreichenden Konsequenzen für die Situation von Auszubildenden. Der Verweis auf den Europäischen Qualifikationsrahmen geht fehl: Er hat mit Modularisierung nichts zu tun.
Berufliche Flexibilisierung und Berufsprinzip
Rainer Brötz
4/2005
Die Diskussion um mangelnde Ausbildungsplätze, nicht ausbildungsreife Jugendliche und den europäischen Qualifizierungsrahmen hat die Flexibilisierungsdebatte von Berufen in der Ordnungsarbeit neu entfacht. Dabei stellt sich die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung des Berufsprinzips im Allgemeinen und die der Handlungsorientierung und gestaltungsoffenen Strukturkonzepte im Besonderen. Welche Möglichkeiten bietet die Flexibilisierung von Berufen, und welche Auswirkungen hat diese auf das Berufsprinzip? In diesem Zusammenhang werden die Positionen der politischen Parteien und Sozialpartner bei der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) dargestellt. Abschließend entwickelt der Autor Thesen für eine Weiterentwicklung des Berufsprinzips.
Aktuelle Tendenzen der dualen Berufsausbildung
Andreas Schelten, Reinhard Zedler
4/2001
Bei der Frage, ob das duale Berufsbildungssystem noch eine Zukunft habe, gehen die Meinungen seit Jahren auseinander. Auf der einen Seite besteht im Ausland hohes Interesse an diesem Berufsbildungsmodell. Auf der anderen Seite wird das duale System in Deutschland kritisch diskutiert. Die einen fragen skeptisch, ob das duale System noch Bestand habe, andere sprechen sogar von einem Auslaufmodell. Die Autoren sehen die Berufsausbildung nicht in der Krise, sondern im Wandel, im Ausbau und unter bestimmten Reformnotwendigkeiten. Dazu verweisen sie auf die Ziele, die Neuerungen bei den Ausbildungsordnungen und Lehrplänen der beruflichen Schulen sowie die Modelle zur Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule.
Ordnung oder Flexibilität? – Zur Zukunft von Beruf und Bildung
Jörg E. Feuchthofen
5/2000
Gleich zwei Beiträge aus namhafter Feder bzw. berufenem Mund nehmen in diesen Tagen die berufliche Bildung ins Visier. Bundespräsident Johannes Rau hat Mitte Juli in Berlin dargelegt, was er sich unter einer zeitgemäßen Bildung vorstellt. Manches korrespondiert mit der Eröffnungsrede von Maria Jepsen, Bischöfin für Hamburg und Mitglied der EKD-Synode, auf den 11. Hochschultagen Berufliche Bildung im März 2000 in Hamburg. Rau wie Jepsen befassen sich kritisch mit der Trias Arbeit – Beruf – Bildung, der eine verhaltener, die andere bewusst kämpferisch.
Flexibilisierung von Ausbildungsordnungen
Aktuelle ordnungspolitische Konzepte zur Nutzung von Modularisierungsansätzen
Tibor Adler, Dagmar Lennartz
3/2000
Flexibilisierung und Differenzierung von Aus- und Weiterbildungsordnungen sind ein wesentlicher Aspekt der notwendigen Modernisierung des Berufskonzepts. Dazu wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Modellen mit modularen Gestaltungselementen erarbeitet. Gleichwohl bleibt der „Modularisierungsansatz“ in der bildungspolitischen Diskussion umstritten, wird diese Debatte polarisierend geführt. Die Autoren weisen nach, dass Modularisierung keineswegs zwingend mit der Aufgabe traditioneller Berufsbildungsinhalte und -prinzipien verbunden ist. Sie zeigen Möglichkeiten für die Modernisierung des Berufskonzepts und eine stärkere Verbindung des geordneten Aus- und Weiterbildungsbereichs auf.
Berufskonzept und Employability
Edgar Sauter
1/2000
Die stärkere Verzahnung von Aus- und Weiterbildung ist zentral bei den Reformüberlegungen zur strukturellen Weiterentwicklung der Berufsbildung. Dabei können Zusatzqualifikationen als zertifizierte Teilqualifikationen eine zentrale Rolle spielen. Edgar Sauter skizziert im Kommentar, wie diese an der Schnittstelle von Aus- und Weiterbildung verankert werden und zur Attraktivität beruflicher Bildung beitragen können.
Differenzierung des Ausbildungsangebotes durch flexibel einsetzbare Zusatzqualifikationen
Siegfried Tuschke
2/1999
Von Kritikern des dualen Systems der Berufsausbildung ist u. a. immer wieder zu hören, dass die deutsche Lehrlingsausbildung aufgrund ihrer Starrheit dem raschen Strukturwandel immer mehr hinterherhinke und deshalb stark an Attraktivität eingebüßt habe. Trotzdem besteht aber sowohl in den Unternehmen selbst als auch bei den in dieser Frage maßgeblichen Sozialpartnern ein breiter Konsens dahingehend, die Arbeitsorganisation auf der Grundlage von Berufen und damit auch die am Berufskonzept orientierte Ausbildung im dualen System beizubehalten. Es gilt also, größere Flexibilität und praxisnahe Differenzierung bei gleichzeitigem Festhalten an einem für den Beruf unverzichtbaren Anteil an Kernkompetenzen zu erreichen.
Zum Flexibilitätspotential modularer Systeme
Englische Konzepte, Erfahrungen und Entwicklungen
Jochen Reuling
2/1998
Die deutsche Debatte um Modularisierung in der beruflichen Bildung hält an. Während die einen in der Modularisierung ein wirkungsvolles Instrument sehen, um die Flexibilität des deutschen Berufsbildungssystems auszuschöpfen, äußern andere ihre vertiefte Skepsis gegenüber dieser Position. Einigkeit scheint jedoch darin zu bestehen, dass ein Blick auf modulare Systeme im Ausland hilfreich sein kann, um ihre Funktionsweise zu verstehen und ihr Flexibilitätspotential einzuschätzen. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf englische Konzepte von Modularisierung. Während frühere BWP-Beiträge sich vor allem auf das System nationaler beruflicher Qualifikationen konzentrierten, wird hier Modularisierung als Mittel zur Flexibilisierung von allgemeinbildenden und beruflichen Qualifizierungswegen betrachtet.
Neue Ausbildungsberufe in der Informations- und Kommunikationstechnik - duales System beweist Innovationsfähigkeit und Flexibilität
Hermann Schmidt
1/1997
Die systematische Einbindung der IuK-Techniken in rund 100 Ausbildungsberufe innerhalb kurzer Zeit dokumentiert die Erneuerungsfähigkeit des dualen Systems unter Beibehaltung des Konsensprinzips. Gleichzeitig unterstreichen die in dem Kontext neu eingeführten Konzepte für die Abschlussprüfung die Handlungsorientierung einer modernen Berufsbildung.
Flexibilisierung der Berufsausbildung - Flexibilisierung als Organisationsprinzip?
Hermann Schmidt
4/1996
Dem Berufsbildungssystem wird vorgeworfen, nicht flexibel genug zu sein, um notwendigen Veränderungen zu entsprechen. Im Kommentar warnt BIBB Präsident Schmidt davor, Kernelemente des dualen Systems vorschnell zur Disposition zu stellen. Vielmehr gilt es, die bestehenden Flexibilitätsoptionen zu erkennen und zu nutzen.
Individualisierung und Binnendifferenzierung
Eine Perspektive für das duale System?
Saskia Keune, Dietmar Zielke
1/1992
Der Beitrag wurde durch Forschungsergebnisse aus dem Bereich der beruflichen Bildung behinderter und benachteiligter Jugendlicher angeregt. Aus der sich seit Jahren abzeichnenden Polarisierung des Schulbildungsniveaus der Auszubildenden sollen für die duale Berufsausbildung Schlussfolgerungen gezogen werden. Das bestehende System müsste so flexibel gestaltet werden, dass den unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen der Auszubildenden und den veränderten Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft durch Individualisierung und Binnendifferenzierung Rechnung getragen werden kann, ohne dass dafür zusätzliche Bildungsgänge etabliert werden müssten.
Das Duale System im Übergang zur Pluralität der Lernorte
Friedrich Edding
Sonderheft 1980
Das Duale System der beruflichen Erstausbildung hat als Institution große Bestandsfestigkeit gezeigt. Durch schrittweise Anpassungen an neue Gegebenheiten hat es seine innere Lebensfähigkeit stetig erneuert, sich als hinreichend flexibel bewährt und trotz notorischer Mängel seine Attraktivität für einen großen Teil des Nachwuchses erhalten. Dass dies auch in den 80er Jahren so sein wird, erscheint als eine bei entsprechenden Anstrengungen durchaus realisierbare Perspektive. In der gegebenen Rechtsordnung als Konstante sind allerdings bedeutende Änderungen von Umfang und Qualität dieser Ausbildungsform unvermeidlich.
Ausgaben
BWP 3/2022 – Flexibilisierung
Das Berufsbildungssystem in Deutschland zeichnet sich durch ein hohes Maß an Standardisierung aus. Damit verbunden ist eine hohe Transparenz und Verbindlichkeit von Berufsbildern und -zertifikaten im Bildungs- und Beschäftigungssystem. Sie tragen mit dazu bei, individuelle Berufsbiografien zu strukturieren. Diese Vorzüge stehen in einem Spannungsverhältnis zu Forderungen nach mehr Flexibilität des Systems. Dabei geht es zum einen um Fragen der Durchlässigkeit von Bildungswegen und zum anderen um die Anpassung von Berufsbildern an den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Ausgabe geht der Frage nach, in welcher Hinsicht mehr Flexibilität für ein leistungsfähiges und modernes Berufsbildungssystem sinnvoll oder gar notwendig ist, ohne jedoch grundlegende Prinzipien (wie z.B. das Berufsprinzip) über Bord zu werfen.
Die BWP zeigt sich solidarisch mit der Ukraine und passt für diese Ausgabe ihr Cover an.
BWP 5/2019 – Flexibilisierung der Berufsbildung
Adressaten der Berufsbildung werden heterogener, ihre Lebensläufe und Erwartungen an das Berufsleben vielfältiger und die Anforderungen in Arbeit und Beruf ändern sich immer schneller. Wird das Berufsbildungssystem dieser Dynamik gerecht? Die BWP-Ausgabe richtet den Blick auf das System und fragt, wie viel Flexibilität ein hoch standardisierter Bildungsbereich wie die Berufsbildung verträgt und ermöglichen muss – und zwar sowohl mit Blick auf die Zugänge in Aus- und Weiterbildung, auf inhaltlich-curricularer Ebene wie auch in zeitlicher Hinsicht. Neben strukturellen Überlegungen geht es vor allem auch darum, Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis vorzustellen.
BWP 4/2008 – Berufsprinzip stärken – Flexibilisierung vorantreiben
Das Schwerpunktthema dieser BWP-Ausgabe greift die Leitlinie 4 des Innovationskreises berufliche Bildung (IKBB) zur Modernisierung der beruflichen Bildung auf und behandelt zentrale Aspekte wie u.a. das Konzept der "Ausbildungsbausteine", die Umorientierung der Ausbildungsordnungen auf Kompetenzbeschreibungen, Überlegungen zu Berufsfamilien mit gemeinsamen Kernqualifikationen, Fragen der Durchlässigkeit und Transparenz im Bildungssystem sowie Ansätze zur besseren Verzahnung von Aus- und Weiterbildung in der Ordnungsarbeit. Im BWP-Interview erläutert Ministerialrat Arno Leskien (BMBF) welche Teilerfolge auf dem Weg der Flexibilisierung des deutschen Berufsbildungssystems bereits zu verzeichnen und welche weiteren Schritte noch zu meistern sind. Angesichts der Herausforderungen für das (Berufs-) Bildungssystem plädiert BIBB-Präsident Manfred Kremer im Kommentar zum Heft für mehr Offenheit bei der Erprobung und empirischen Prüfung alternativer Modelle und Konzepte.