Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften stellt vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen und einer fortschreitenden fachlichen Spezialisierung hohe Anforderungen an ein leistungsfähiges Aus- und Fortbildungssystem. Die BWP-Ausgabe greift Strukturfragen und -modelle auf, die bei der Weiterentwicklung von Berufsbildern und der Gestaltung beruflicher Qualifizierungswege diskutiert und umgesetzt werden. Dazu gehören u. a. Informationen zur Entwicklung der beruflichen Qualifikationsstruktur, die Bündelung von Berufen in Berufsgruppen, flexible und kompetenzorientierte Berufsbilder, eine stärkere Outcome-Orientierung sowie die verbesserte Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit beruflicher Bildungsgänge. Hierzu beziehen einleitend auch Vertreter/-innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis Stellung.
BIBB-Präsident Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser hebt im Editorial zum Heft das hohe internationale Ansehen der dualen Berufsausbildung hervor. Dies sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle an der beruflichen Bildung beteiligten Akteure weitere notwendige Verbesserungen – gerade bei der Umsetzung struktureller Herausforderungen – im Blick behalten müssen.
Weitere Beiträge im Heft befassen sich mit der Ausbildungsreife als Thema der öffentlichen Berichterstattung, dem neuen BMBF-Förderprogramm ANKOM II, sowie mit den Konsequenzen des DQR für die Ordnungsarbeit.
In seinem Editorial konstatiert Prof. Dr. Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, ein wachsendes internationales Interesse am dualen Berufsbildungssystem in Deutschland. Dies führt er vor allem darauf zurück, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland vergleichsweise sehr gering sei und eine große Nähe zur Arbeitswelt bestehe. Um international nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben, sieht Prof. Esser in drei Punkten allerdings konkreten Handlungsbedarf: die Kompetenzorientierung in der Berufsausbildung müsse forciert, die Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner bzw. hochschulischer Bildung weiter verbessert und die zuletzt nachlassende Beteiligung der Betriebe an der Berufsausbildung wieder erhöht werden.
In den Jahren 2009 und 2010 ist der Anteil ausbildender Betriebe deutlich zurückgegangen. Gleiches gilt für den Anteil der Auszubildenden an der Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Deutet dies auf eine Krise der dualen Ausbildung hin? Nähere Analysen zeigen, dass diese Entwicklungen nicht nur mit Veränderungen des Ausbildungsmarkts erklärt werden können, sondern auch im Zusammenhang mit einem Wandel der Beschäftigtenstruktur zu sehen sind.
Themenschwerpunkt
Johanna Bittner-Kelber; Friedrich Hubert Esser; Thomas Giessler; Esther Hartwich; Beate Scheffler; Thomas Sondermann; Georg Spöttl
Die zentralen Herausforderungen für die Berufsbildung, die wir für die Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems im Auge haben müssen, sind der demografische Wandel, die mit ihm einhergehenden Folgen und seine Auswirkungen auf die Fachkräftesicherung sowie die Internationalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft und die damit verbundene Aufgabe der Integration, so lautete eine zentrale Botschaft auf dem BIBB-Kongress 2011 in Berlin. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Weiterentwicklung des Berufskonzepts? Im Rahmen der im BIBB verfolgten Wissenschafts-Politik-Praxis-Kommunikation wurde dieser Frage nachgegangen, um Antworten bei den berufsbildungspolitischen Hauptakteuren zu finden, die eine Relevanz für die zukünftige Ausgestaltung der Berufe haben. Im Ergebnis liegen nicht nur interessante, sondern auch gleichermaßen praktikable Hinweise vor, die hier vorgestellt werden.
Felix Bremser; Anna Christin Höver; Manuel Schandock
Die berufliche Qualifikationsstruktur in Deutschland weist seit geraumer Zeit eine Tendenz zur Höherqualifizierung auf. Laut OECD sind die Akademikerzahlen in Deutschland im internationalen Vergleich jedoch immer noch sehr niedrig und es wird geraten, diese zu erhöhen. Welche möglichen Folgen eine einseitige Ausrichtung auf die Erhöhung der Akademikerquoten für die Entwicklung der Qualifikationsstruktur der deutschen Bevölkerung haben könnte, soll hier aufgezeigt werden. Dazu werden die Entwicklung der Studierendenzahlen und Übergänge zwischen den Qualifikationsbereichen untersucht sowie Entwicklungen zu Nachfrage und Angebot von Qualifikationen seit 1996 dargestellt bzw. mithilfe entsprechender Modellrechnungen bis zum Jahr 2030 prognostiziert.
Die International Standard Classification of Education (ISCED) diente ursprünglich nur der Erstellung standardisierter, international-vergleichender Statistiken über Bildungssysteme. Erst im Laufe der Jahrzehnte hat sie sich als so nützlich erwiesen, dass ihr mittlerweile auch eine bewertende Rolle zugesprochen wird und sie als ein Standard gilt, an dem sich die Entwicklung neuer Qualifikationen, Qualifikationsrahmen oder ganzer Bildungssysteme orientiert. Trotzdem spiegelt sie die Realität in Bildungssystemen und die Vielfalt existierender Qualifikationen nur bedingt wider, woran auch die Ende 2011 verabschiedete Neufassung der ISCED nichts ändert. Ziel des Beitrags ist es daher, nachzuvollziehen, auf welcher Basis die ISCED beruht und mithilfe welcher Vergleichsmaßstäbe und Wertvorstellungen die Zuordnung einer Qualifikation zu einem bestimmten Niveau erfolgt. Dabei zeigen sich Unklarheiten vor allem dort, wo die Wertigkeit im Sinne von inhaltlicher Komplexität und Anspruch die Zuordnung einer Qualifikation zu einer bestimmten Niveaustufe rechtfertigt.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat als Verordnungsgeber entschieden, Berufe mit einer dreieinhalbjährigen Ausbildungsdauer nur noch als Erprobungsverordnung für die Dauer von maximal fünf Jahren zu erlassen. Dieses Vorhaben veranlasste das BIBB, eine Expertise zur Festlegung der Ausbildungsdauer von Berufen zu erstellen. Um zu prüfen, inwieweit sich zwischen drei- und dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufen besondere Auffälligkeiten feststellen lassen, wurden u. a. Auswertungen der Berufsbildungsstatistik 2010 vorgenommen, die in diesem Beitrag vorgestellt werden. Hieraus werden Schlussfolgerungen abgeleitet und abschließend Empfehlungen für die künftige Ordnungsarbeit formuliert.
Der Innovationskreis berufliche Bildung (IKBB) beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat 2007 beschlossen, dass Wirtschaft und Gewerkschaften „ab sofort“ vor jeder Neuordnung eines Einzelberufs die Zusammenführung mit anderen Berufen in Berufsgruppen „prüfen“ sollen, um eine deutliche Steigerung von Berufsgruppen „in den nächsten fünf Jahren“ auch praktisch zu erreichen. Da nach Auffassung des BMBF offensichtlich bei einigen Akteuren noch Vorbehalte gegen eine Bildung von formalen, d. h. in Ordnungsmitteln festgelegten Berufsgruppen bestehen, soll das Thema systematisch und mit Nachdruck vorangetrieben werden, um nicht nur den Empfehlungen des IKBB Rechnung zu tragen, sondern auch um Betrieben, Auszubildenden und Schulen die möglichen Vorteile aufzuzeigen. Allerdings ist dabei auch auf mögliche Hindernisse und Befürchtungen hinzuweisen, die bei der Bildung von formalen Berufsgruppen entstehen können.
Der Übergangsbereich zwischen Schule und Berufsausbildung ist seit Jahren in der Kritik, da durch die Bildungsangebote in der Regel keine Ausbildungsinhalte in anrechnungsfähigem Maße vermittelt werden. Mit kompetenzorientierten Ausbildungsbausteinen sollen die Qualität von Übergangsmaßnahmen gesteigert und erreichte Lernergebnisse (Outcomes) transparent gemacht werden. Doch wie kann es gelingen, Ausbildungsbausteine in bestehende Maßnahmen mit eingespielten Handlungsroutinen aller Akteure zu implementieren und welche Effekte lassen sich aus dieser Implementierung bereits beobachten? Im Beitrag werden erste Erkenntnisse aus der Erprobung von Ausbildungsbausteinen im Programm JOBSTARTER CONNECT vorgestellt und reflektiert.
Der Beitrag nimmt das Verständnis von Kompetenz in den Verordnungen der dualen Ausbildung für den beruflichen Teil in den Fokus. Es wird dargestellt, auf welche Weise das Kompetenzverständnis in den Rahmenlehrplänen für den beruflichen Unterricht in den dualen Ausbildungsgängen formuliert wird. Die Grundlage für dieses Kompetenzverständnis wurde in der sogenannten Handreichung der KMK von 1996 gelegt. Diese Handreichung wird im ersten Abschnitt konzentriert dargestellt. Hierauf aufbauend werden im zweiten Abschnitt Herausforderungen skizziert, um schließlich im dritten Abschnitt zu der aktuellen Fassung der Handreichung von 2011 zu kommen. Auf diese Weise wird aufgezeigt, wie sich das Kompetenzverständnis verändert hat und wodurch diese Veränderung motiviert war. Dabei wird auch deutlich, dass in der Handreichung gleichzeitig drei Kompetenzansätze thematisiert werden.
Studien belegen regelmäßig die Leistungsfähigkeit der dualen Ausbildung. Auch die Europäische Kommission nimmt mittlerweile das duale Ausbildungssystem als wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa wahr. Doch das duale Ausbildungssystem in Deutschland steht vor neuen Herausforderungen. Um die Begabungspotenziale noch besser auszuschöpfen und das lebenslange Lernen stärker als bisher zu fördern, gewinnt die Verknüpfung von Berufsvorbereitung, Berufsausbildung, Fortbildung und Hochschulbildung zunehmend an Bedeutung. Der Artikel macht einen Vorschlag zur kompetenzorientierten Beschreibung von Lerneinheiten, um die Anschlussfähigkeit von Bildungsgängen über die Ordnungsmittel zu sichern. In diesem Zusammenhang werden Ergebnisse des baden-württembergischen Projekts „Eurolevel“ zur Anrechnung vollzeitschulisch erworbener Kompetenzen auf eine duale Ausbildung vorgestellt.
Die Durchlässigkeit des Bildungssystems hat in der Berufsbildungspolitik in Deutschland hohe Priorität. In formaler Hinsicht kann die Forderung nach Durchlässigkeit auch in beachtlichem Umfang als eingelöst gelten. Faktisch bestehen Barrieren allerdings nach wie vor. In der beruflichen Bildung wird als eine Möglichkeit zu ihrer Überwindung die Verzahnung von Erstausbildung und Fortbildung diskutiert, insbesondere durch Zusatzangebote in der Ausbildung sowie durch die Anrechnung von Lernergebnissen oder informell erworbenen Kompetenzen. Auf der Basis von Ergebnissen des Projekts ECVET-D-Bau wird am Beispiel der Aufstiegsfortbildung zum Geprüften Polier in der Bauwirtschaft gezeigt, warum eine Lösung konsequenterweise über eine Verzahnung hinausgehen muss. Der Beitrag schließt mit dem Vorschlag einer Konzeption für einen Bildungsgang, der Aus- und Fortbildung integriert, anstatt sie nur zu verzahnen.
In diesem Beitrag werden die Herausforderungen und Gestaltungsansätze zur Weiterentwicklung des Strukturmodells der beruflichen Bildung im Handwerk beschrieben. Einleitend sind wichtige berufsbildungspolitische Herausforderungen skizziert. Zentrale Erwartungen, die das Strukturmodell zur systemischen Ausgestaltung der Berufsbildung einer ganzen Wirtschaftsbranche erfüllen sollte, werden dargestellt. Drei bedeutsame Handlungsfelder schließen sich an, an denen exemplarisch aufgezeigt wird, welcher Weiterentwicklungsbedarf für das Berufslaufbahnkonzept im Handwerk aus berufsbildungspolitischer Perspektive gesehen wird. Dabei handelt es sich um erste Gestaltungsansätze.
Zentrales Merkmal des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) ist die Orientierung an Lernergebnissen, und damit an dem, was jemand nach Absolvierung eines Lernprozesses kann und in der Lage ist zu tun. Eine konsequente Umsetzung dieser Lernergebnisorientierung hat erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der staatlich anerkannten Aus- und Fortbildungsregelungen. Im Beitrag wird aufgezeigt, wie ein Weg zur kompetenzorientierten Gestaltung der Ordnungsmittel aussehen kann. Hierzu werden Leitlinien für die Erarbeitung kompetenzorientierter Ordnungsmittel auf der Grundlage vorliegender Befunde aus Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des BIBB vorgestellt.
Die öffentliche Wahrnehmung bildungs- und sozialpolitisch relevanter Themen wird u.a. durch die massenmediale Berichterstattung beeinflusst. Dies dürfte auch für das kontrovers diskutierte Problem (mangelnder) Ausbildungsreife gelten. Vor dem Hintergrund vielfältiger Veränderungen am Ausbildungsmarkt ist das Ziel des Beitrags, die Entwicklung der Sichtbarkeit des Themas Ausbildungsreife in der öffentlichen Berichterstattung empirisch zu untersuchen. Es zeigt sich, dass die Dichte der Berichterstattung in bestimmten Zeiträumen und Marktsituationen sowie im Zusammenhang mit bildungspolitischen Ereignissen besonders hoch ist, wodurch der Stellenwert des Themas und darüber hinaus potenzielle Zusammenhänge deutlich werden.
Mehr Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschule erfordert ein zielgruppenspezifisches Übergangsmanagement. Mit den in der BMBF-Initiative ANKOM (2005–2008) erprobten Verfahren zur Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge konnte hierzu ein wesentlicher Meilenstein gesetzt werden. Die 2012 gestartete Phase 2 der BMBF-Initiative ANKOM knüpft an diese Ergebnisse an und wird in 20 Projekten bis 2014 für die Zielgruppe beruflich Qualifizierter unterstützende Maßnahmen und Modelle des Studieneinstiegs und der Studiengestaltung entwickeln und erproben.
Auf der Grundlage von Präsentationen einer explorativen Studie zu Ausbildungsabbrüchen und Vertragslösungen, zu den aktuellen Förderschwerpunkten der Modellversuchsprogramme des BIBB, zur internationalen Beratungs- und Kooperationstätigkeit des BIBB und zu den Serviceangeboten des Bereichs Bibliothek und Dokumentation im BIBB beschäftigte sich der Hauptausschuss auf seiner Sitzung Ende Juni in Bonn mit einer großen Bandbreite an Themen. Dazu gehörte auch die Förderung von Qualifizierung bei der Elektromobilität (eMob) und aktuelle Fragen zum DQR, dessen Umsetzung vom Hauptausschuss und einer eigenen Arbeitsgruppe laufend begleitet wird.
Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung hat auf seiner Sitzung am 21. Juni 2012 die Empfehlung: "Rahmencurriculum für eine Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA)" verabschiedet.
Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung hat am 21. Juni 2012 die "Empfehlung zur Einrichtung eines Good Practice Centers (GPC) zur Förderung von Qualifizierung bei der Elektromobilität (eMob) beim BIBB" verabschiedet.